text: esther kochte | 1000 und 1 buch | 1-2006

_kinder füllen die bilder mit emotion

Carll Cneut im Portrait

Esther Kochte traf den belgischen Illustrator beim 5. Internationalen Literaturfestival in Berlin, wo er zahlreichen Grundschulklassen seine Bilderbücher vorstellte.

»Ist das ein Kinderbuch?« frage ich Carll Cneut ketzerisch.

»Ähm – ja«, entgegnet der charmante Mann im nilblauen Pulli und sein Blick wird leicht defensiv. Er scheint gefasst auf die typischen Angriffe einer Erwachsenen, die der jüngsten Leserschaft nur Plüschiges zutraut.

Wir sitzen im Garten des Hauses der Berliner Festspiele, die Septembersonne strahlt, und Carll hat mir gerade sein neuestes Bilderbuch vorgestellt, seine Finger bunt beschmiert vom unermüdlichen Signieren der Bücher und Zettel, die 240 kleine Fans ihm nach der Veranstaltung hingehalten haben.

Dulle Griet (2005) mit einem Text seines altbewährten Autorenkollegen Geert de Kockere referiert auf das gleichnamige Gemälde von Pieter Bruegel d. Ä., dessen Malstil Cneut geschickt mit seinem eigenen mixt. Es erzählt die Geschichte der rasenden Grete, die in die Hölle hinabsteigt und den Teufel um Einlass bittet. Der Bösewicht weist sie zurück, Grete begeht Selbstmord.

Cneut interpretiert den Stoff so raffiniert wie provokant, indem er die Höllenfahrt der Heldin als lediglich imaginiert darstellt. Denn nicht im Jenseits liegt für ihn die Hölle, sondern diesseits – haben die Menschen das verrückte Mädchen doch vergrault.

»Kinder mögen Gruseliges, solange es ihnen nicht persönlich nahe geht«, verteidigt der Illustrator die Drastik seines Werks. »Das Schwierige sind immer die Eltern mit ihren Bedenken. Kinder, denen ich die Bilder gezeigt habe, mochten sie sehr und fanden sie eher amüsant als unheimlich. Allerdings habe ich ihnen auch nicht die Geschichte vorgelesen.«

Aha! So landen wir in der notorischen Diskussion um das künstlerisch anspruchsvolle Bilderbuch. Ein Werk, dessen ästhetischer Ehrgeiz die Kritiker überzeugt, stoße die Kinder eher vor den Kopf, behauptet die Volksfraktion. Sie hält die intendierte Zielgruppe schnell für überfordert. Nichts als faule Ausreden, sagen engagierte Spezialisten wie Carll Cneut.

Das Publikum erziehen

»Es kommt immer darauf an, ob ein Buch nur zum Einschlafen dienen oder den Dialog mit einem Kind anregen soll.« Dann räumt er ein: »Klar richtet sich ein Titel wie Dulle Griet eher an junge Erwachsene. Dennoch glaube ich, dass man Kindern mit ein bisschen Aufwand den Stoff durchaus vermitteln kann.«

Und Cneut geht mit virtuosem Beispiel voran. Der Arbeit im Atelier widmet der Illustrator nämlich nur mehr die Hälfte seiner Zeit. Die andere Hälfte gehört seinem Publikum, dem zu begegnen er quer durch Europa reist. In rund 300 Werkstätten pro Jahr zeigt er Kindern nicht nur seine Bücher, sondern leitet sie auch an, eigene zu gestalten. So bringt er ihnen ein Buch als etwas Kostbares nahe, mit dem es sich eingehend zu beschäftigen lohnt. Denn wer erst einmal die Mühe erfahren hat, die in so einem Werk steckt, stellt es nicht so bald auf Nimmerwiedersehen in den Schrank.

Daneben wächst die Zahl adulter Liebhaber und Sammler, die mehr oder weniger verschämt ihre Regale mit Bilderbüchern bestücken; klammheimlich hat sich das Bilderbuch als Genre für die Großen herausgebildet. Wie sinnvoll ist es da überhaupt noch, das traditionelle Bilderbuchalter, wenn schon nicht als Gestaltungs-, so doch weiterhin als Marketingmoment zu behaupten? Würde es einem postmodernen Literaturbetrieb nicht besser zu Gesicht stehen die Altersgrenzen offensiv zu sprengen, wie es Cneuts heimischer Verleger gewagt hat?

»Tatsächlich hängt es zum guten Teil von der Risikobereitschaft der Verlage ab, wie sich der Markt entwickelt«, meint Cneut. »Die großen Verlage, die einst über De Eenhoorns Eigenwilligkeit gelacht haben, machen es ihm heute nach. Man muss das Publikum einfach auch ein bisschen erziehen!«

Wie gut das funktioniert, erwies sich zuletzt eben an Dulle Griet, dessen Verkauf in Belgien und Italien unerwartet gut anlief. In Frankreich sind Cneuts Bücher sowieso der Renner. Bleibt die Reaktion auf die hoffentlich baldige deutsche Version abzuwarten…

Sie sind also keineswegs das, was man als gefällig bezeichnen würde: Den Werken des belgischen Bilderbuchkünstlers Carll Cneut, Jahrgang 1969, haftet etwas Altertümliches an, wie von einer Patina überzogen. Die poröse Zeichnung seiner Figuren höhnt jedem Schönheitsideal. Klobig und holzschnittartig kommen sie daher, schrullig und wenig niedlich. Unbeirrt konterkariert der Illustrator das Kindchenschema der gewinnend großen Augen durch stecknadelkopfkleine Gucker und barocke Leiber.

Von einem Kind aus dem Publikum gefragt, warum die Leute in seinen Büchern denn alle so dick seien, erwidert Cneut schmunzelnd:»Weil wir in Belgien immer so viele Pralinen essen.«

Andere stilistische Merkwürdigkeiten sind persönlich, genauer: kompensatorisch motiviert. »In meiner Klasse war ich immer der Kleinste«, bekennt Cneut. »Aber ich hatte riesige Hände und Füße und sehr große Zähne!« Besagte Extremitäten kann er nun offenbar gar nicht klein genug zeichnen…

Alles begann mit einer gebrochenen Hand

Um die 15 Bücher hat Carll Cneut mit seinem unverkennbaren Pinselstrich kreiert, seit er vor neun Jahren seine Berufung darin erkannte, neben den Bilderbüchern auch vier Bände mit Kinderreimen und zwei Fibeln.

Alles begann damit, dass jemand sich die Hand gebrochen hatte. Denn als studierter Grafikdesigner machte Cneut zunächst als Art Director in der Werbung Karriere.

»Eines Tages sprang ich bei einer Frauenzeitschrift für einen Illustrator ein. Darauf empfahl mich jemand dem Verlag De Eenhoorn und ich illustrierte meine ersten Bücher mit Kinderreimen. Ich verliebte mich sofort in diese Arbeit und wusste, von nun an würde ich Bilderbücher machen. Dann begann ich, Malwerkstätten für Kinder zu veranstalten und entdeckte meinen Draht zu Kindern. Es war alles überhaupt nicht geplant. Heute kann ich mir nicht mehr vorstellen, irgend etwas anderes zu machen. Meine Arbeit, das bin ich.«

Zahlreiche internationale Auszeichnungen, darunter der belgische Boekenpauw, die Goldene Plakette von Bratislava und ein Platz auf der Ehrenliste des Bologna Ragazzi Award, würdigen seine Leidenschaft und Disziplin. Sieben Tage die Woche ackert er von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends.

Eremit im Universum

»Vielleicht sollte ich mein Sozialleben nicht so vernachlässigen«, erwägt er. »Aber meine Freunde haben Verständnis dafür, dass ich mich nur noch auf Hochzeiten und Beerdigungen blicken lasse, während ich an einem Buch arbeite. Das Besondere am Malen von Bilderbüchern ist ja, dass du zwischen zwei Buchdeckeln ein komplettes Universum erschaffen kannst. Wenn ich aus diesem Universum austrete und ein ganzes Wochenende frei nehme, kostet es mich noch einmal so viel Zeit um wieder rein zu kommen. Darum neige ich dazu mich in eine Art Kokon zu verstricken und wie ein Eremit zu leben.«

Maximal zwei Bücher gestaltet Cneut im Jahr. Mehr verbietet seine aufwändige Maltechnik. Sein bevorzugtes Basismaterial ist Acryl. Mit Öl würde es ja auch Wochen dauern, bis jeweils alle Schichten getrocknet wären.

»Ich male meine Bilder in bis zu sechs, sieben Schichten. Manchmal denke ich, ich sollte meinen Stil vereinfachen. Ich kenne Leute, die machen ein Buch in zwei Wochen. Aber würde ich mich auf eine einzige Schicht beschränken, sähe alles so nagelneu und flach aus. Man sähe den Figuren an, dass sie speziell für diese eine Geschichte gemacht sind. Durch die verschiedenen Schichten versuche ich das Ganze ein bisschen mysteriöser und tiefgründiger erscheinen zu lassen, ihm einen Hauch Vergangenheit beizumischen. Ich verwende dabei alle möglichen Materialien, Tee, Kaffee, Blattgold, Tinte… Dadurch entdecke ich für mich selbst immer wieder Neues.«

Als Dozent der Kunstakademie in seiner Wahlheimatstadt Gent gibt er seine Kniffs dann an seine Studenten weiter. Oder eben an die kleinen Nachwuchskünstler in seinen Workshops.

Von Kindern, wilden Abenteuern und großen Müttern

»Am meisten genieße ich den Kontakt mit den Kindern«, schwärmt Cneut. »Letzte Woche war ich in Italien, diese Woche in Berlin, Samstag fliege ich nach Lissabon und überall treffe ich Kinder. Ich habe dafür sogar angefangen, neue Sprachen zu lernen.«

Wie schafft er das bloß alles? Soviel scheint sicher:

»Dieses eingespannte Leben kann ich nur durchhalten, weil ich mit meinem ganzen Herzen dabei bin.«

Inspirieren die Kinder ihn denn auch für seine gestalterische Arbeit?

»Nicht direkt, aber ich kenne mein Publikum inzwischen sehr genau und bin mir seiner sehr bewusst. Das macht es leichter – solange du dich nicht an irgendwelche Altersvorgaben fesselst. Es gibt eigentlich nur zwei Regeln, wenn du für Kinder illustrierst: Sie sollten erkennen können, was du im Sinn hast, und es sollte ihre Fantasie hervorkitzeln.«

Der Radius seiner Publikationen erstreckt sich von seinem Heimatland Belgien über Frankreich, Spanien, Dänemark, England, die USA bis nach Korea und Japan. Ins Deutsche wurden bislang vier Titel übersetzt. Zwei davon hat jüngst der österreichische NP- bzw. Residenz-Verlag in sein Programm genommen.

Im August erschien Antonio auf der anderen Seite der Welt (Belgien 2003), ein Buch über die dramatischen Dimensionen kindlichen Erlebens zwischen spielerischer Abenteuerlust fernab der Mutter und dem Bedürfnis nach Nestwärme, welches das Kind irgendwann kleinlaut beschleicht – bildlich dargestellt als Prozess des Schrumpfens. Auf dem Heimweg von seiner Oma überbrückt Klein-Antonio aktiv die Distanz zu seiner Mutter, indem er kraft seiner Fantasie die tollsten Sachen erlebt, als Schiffsjunge, Lokführer oder Cowboy.

Cneuts persönliche Beziehung zu Malachy Doyles Geschichte liegt nahe. Aufgewachsen auf dem Land in einem Dorf an der belgisch-französischen Grenze, sei das Aufregendste an seiner eigenen Kindheit nämlich der tägliche Gang den Feldweg entlang zu seiner Großmutter gewesen, die 500 Meter weiter wohnte. »Unterwegs habe ich mir Monstren vorgestellt oder Boote gefaltet und Pirat gespielt,« erzählt er.

So überträgt er die skurrile Stimmung des englischen Textes in plastische Bilder voller Witz und Gemüt. Fröhliche Farben, beherzte Formen und ein spannungsreicher Bildaufbau ziehen den Betrachter im Nu ins Geschehen.

Daheim päppelt die gute Mama den Sohnemann schließlich tüchtig auf. Nicht nur Cneuts verlockend aufgetürmte Schlemmereien sind es, die uns wohlig in dieser Szene schwelgen lassen, es ist vor allem seine an Niki de St. Phalles Nana-Skulpturen erinnernde Muttergestalt, deren überbordende Leibesfülle Geborgenheit und Generosität verheißt, eben eine mütterliche Allgegenwart.

Überhaupt hat es Cneut, dessen Vater früh gestorben ist, thematisch mit den Müttern. »Die Mutter erscheint dir als Kind größer als sie tatsächlich ist«, erinnert er sich. »Sie hat diese mächtigen Arme, um dich zu halten.«

Als Frühjahrstitel folgt nun Hexenfee (Belgien 1999) mit einem Text der belgischen Autorin Brigitte Minne, ins Deutsche übersetzt von Mirjam Pressler. Auch darin geht es um die Spannung zwischen Nähe und Distanz zur Mutter.

Statt sich fein und artig zu benehmen wie es sich für eine Fee gehört, will die kleine Rosmarine lieber ungestüm wie eine Hexe sein. Zum Ärger ihrer Mutter verlässt sie ihr goldenes Luftschloss und fliegt hinunter in den Hexenwald, um sich dort nach Hexenlust zu amüsieren. Töchterchen demonstriert Mama schließlich überzeugend, dass eine viel glücklichere Fee ist, wer auch die Hexe in sich offen ausleben darf.

Cneut setzt die temperamentvolle Individuation der Hexenfee in bizarre Bilder von großer Leuchtkraft. So wenig er die Gesichter seiner Figuren dabei ausgestaltet, ihre Körper zeigen eine bestechende Präsenz.

Individuen und Archetypen

Cneuts Charaktere gleichen insgesamt mehr Archetypen denn individuellen Personen.

»Die Figuren sollten psychologisch gesehen zwar die jeweils schlüssige Körperhaltung einnehmen«, erklärt er, »aber ich will nicht sämtliche Emotionen in sie hinein legen. Wenn du Hexenfee oder Antonio mit einem Kind anschaust und mit ihm darüber redest, füllt es die Bilder von selbst mit Emotion. Ohnehin stellen Kinder sich alles viel eindrucksvoller vor, als ich es je zeichnen könnte. Warum also sollte ich alles haarfein definieren? Der Fantasie Raum zu geben und die Kinder in das Buch einzubeziehen ist essenziell für meine Arbeit. Das ist viel interessanter als ein Buch, das alles vorkaut und sich in einer zehnminütigen Lektüre erschöpft.

Schau dir Willy an, eins meiner frühen Bilderbücher mit Geert De Kockere (Belgien 1999). Auf der ersten Seite sieht man nur ein Stück von einem Rüssel und zwei Elefantenfüße. Alle Kinder erkennen sofort, was das sein soll, aber jedes vervollständigt das Bild in seinem Kopf auf seine Weise. Einige Kinder sehen einen Zirkuselefanten, andere einen Dschungelelefanten, wieder andere stellen sich Reiter auf seinem Rücken vor. Autor, Illustrator und Leser schreiben die Geschichte gemeinsam. Da gibt es den Text, der Illustrator interpretiert den Text in seinem Sinne und der Leser gestaltet im Kopf wiederum seine eigene Version aus Text und Bildern. Das kapieren nur die Erwachsenen nicht. Wenn die erst einmal sehen, was du mit so einem Buch alles anstellen kannst, sind sie sofort überzeugt. Aber man erreicht eben nicht alle Erwachsenen.«

»Verlängerst du deine Kindheit, indem du für Kinder malst?«

»Nein.«

»Du bist in deinen Büchern nicht Kind?«

»Nein.«

»Du realisierst darin deine aktuellen Themen, deine Philosophie als Erwachsener?«

»Ehrlich gesagt hab ich darüber noch nie nachgedacht«, gibt er zu. „Das ist eine schwierige Frage… Ich habe eine starke Verbindung zu Kindern, aber ich denke nicht, dass es eine Ausdehnung meiner Kindheit ist. Ich male als Erwachsener.«

»Kann man nicht verschiedene Alter parallel ausleben – 36 sein und gleichzeitig noch mal fünf?«

»Das glaube ich nicht.« Grübelnd zieht er an seiner Zigarette. Schließlich hat er es druckreif: »Meine Bücher sind das Geschenk eines Erwachsenen an Kinder.«

Alles nur geträumt

Zwar gibt er es nur indirekt zu – er habe das alles geträumt – , doch hinter seinem Autorendebüt, der wundersamen Liebesgeschichte des Mister Morf (England 2002), verbirgt sich unleugbar Cneuts eigene.

»Ich habe lange nach der Liebe meines Lebens gesucht und eine ganze Weile gebraucht, bis ich sie gefunden habe«, verrät er und mutet das auch seinem Protagonisten Mister Morf zu, für dessen geschecktes Äußeres sein unlängst verstorbener Hund Modell gestanden hat.

Quer über den Globus muss der einsame Seiltänzer reisen und kassiert bei seinen tierischen Anbahnungsversuchen nichts als Absagen. Einmal wird er sogar fast vom bösen Wolf gefressen – eine launige Anspielung auf Rotkäppchen, mit der Cneut eine alte Angst verarbeitet: Bläute Mama dem kleinen Carll und seinen beiden jüngeren Schwestern doch ein, stets auf dem Pfad zu bleiben, sonst ergehe es ihnen wie der prominenten Märchenheldin. »Auch nur mit den Füßen ins Gras daneben zu treten, erschien uns bereits überaus gefährlich…«

Der arme Hund kehrt schließlich in den heimischen Zirkus zurück, wo ausgerechnet die unscheinbare Flohdame Isabella ihm gehörig die Tristesse aus dem Pelz kitzelt.

»Die wahre Liebe kommt, wenn du es am wenigsten erwartest«, erläutert Cneut das Happy End seiner Geschichte und ergänzt bedeutungsvoll: »Vielleicht ist es jemand, den du schon lange kennst.«

Hört, hört!

»Jetzt wollt ihr bestimmt alles über mein Liebesleben wissen!« flachst er.

I wo. Wir ahnen doch spätestens jetzt, dass auch auf Herrn Cneuts Weg zu sich selbst die große Liebe inkognito gereist ist…

Länder, Sitten und Vorurteile

Stutzig machen die je nach Erscheinungsort verschiedenen Textversionen. Im niederländischen Original wie in der französischen Übersetzung geht es um echte Liebe. In der englischen Fassung, nach der sich auch die deutsche Übersetzung richtet, ist das Ganze zur bloßen Freundschaft verkommen.

»Die Hardcore- und die Softcore-Version,« spöttelt Carll.

Warum die Entschärfung?

»Nun, in England sollen Bücher möglichst simpel sein. Vielleicht sollte ich das gar nicht sagen«, gluckst er. »Aber ich hab das Buch mit einem sehr kommerziell ausgerichteten Verlag realisiert. Es gab eine Menge Diskussionen über den Text und darüber, was in England im Unterschied zu Europa ein gutes Werk ausmacht. Alles in allem bin ich stolz auf das Buch, aber bezüglich des Textes bleiben meine Gefühle gemischt.«

So drollig sich Cneuts Zirkusgeschichte gebärdet, so beklemmend wirkt Rotgelbschwarzweiß (Belgien 2001), das erste seiner Bücher, das auf deutsch erschienen ist. Brigitte Minnes Text spielt allegorisch auf diktatorische und faschistische Strukturen an. Steif wie Holzpuppen nehmen sich Cneuts Figuren aus. Nicht von ungefähr: Das Buch erschien zu einer Zeit, da in Belgien starke rechtsextreme Strömungen aufkamen und rassistische Programme großen Zulauf hatten.

»Überall im Land hingen diese großen Poster von einem blonden Mädchen, das von einer schwarzen Hand an den Haaren gepackt und von einer Schusswaffe bedroht wird«, erzählt Cneut. »Bis heute hat sich die Situation nicht sonderlich geändert, nur leider hat man sich daran gewöhnt. Das Buch drückt quasi mein Unbehagen darüber aus.

Eigentlich hatten wir einen Nachfolger zu Hexenfee machen wollen, mit denselben Charakteren. Heraus kam dann aber dieses vollkommen andere, wütende Buch, das auf eine Weise unheimlicher ist als Griet . Mit seiner gesellschaftskritischen Botschaft verkauft es sich auch schwer.«

Umso besser taugt es wohl als Unterrichtsmaterial, nicht nur in Belgien…

Kein guter Zeichner?

Seit damals sind Cneuts Bücher humorvoller geworden, was der Illustrator auf seine optimierte Kunstfertigkeit zurückführt: »Als ich ein Buch wie Rotgelbschwarzweiß machte, war ich in meiner Zeichenkunst noch eingeschränkter. Ich bin sowieso kein wirklich guter Zeichner. Meine Stärke liegt mehr in der Komposition eines Ganzen. Sollte ich jemanden portraitieren, würde das Resultat ihm nicht mal ähnlich sehen.«

Moment. Da fällt mir ein Foto auf einer Verlagswebsite ein. Mister Morf sieht dem Hund darauf verdammt ähnlich, wie auch der Stubenköter in Antonio.

»Das ist definitiv dein Hund, oder?«

»Ja«, gibt Carll grinsend zu.

»Er ist gestorben.«

»Das tut mir Leid.«

»Er hieß Jack.«

»Immerhin hast du ihn treffend portraitiert.«

»Der war ja auch einfach«, lacht er. »Ähm… Jedenfalls begann ich 2001 vollzeitig als Illustrator zu arbeiten. Seit ich jeden Tag zeichne, geht es mir leichter von der Hand. Damit habe ich heute viel mehr Möglichkeiten, etwa zwischen verschiedenen Positionen zu wechseln oder eben Humor einzubringen.«

Was für Ziele bleiben da überhaupt noch?

»Ich hoffe, dass bis an mein Lebensende alles so weitergeht«, spricht der Künstler und das Glück strahlt nur so aus ihm heraus. Nichts anderes wünschen ihm seine Fans. Aber psst! Aus purem Eigennutz…

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carll cneut | foto: residenz-verlag



die wundersame liebesgeschichte des mister morf
sauerländer 2003 | www.carllcneut.com



antonio auf der anderen seite der welt
np-verlag 2005 | www.carllcneut.com



hexenfee | residenz-verlag 2006 | www.carllcneut.com


rotgelbschwarzweiß | sauerländer 2004 | www.carllcneut.com



Bibliografie (Auswahl)
_in deutscher Übersetzung erschienen

_einige weitere

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