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text: leowee | berlin 2007 | variierter auszug aus einem essay für die fachzeitschrift 1000 und 1 buch

_meine maske bin ich

Arroganter Sack! Wirkt voll aufgesetzt! Sagt man ja so, oder? Wenn eine Person einem irgendwie unauthentisch erscheint. Tja, liebe Kinder. (Ihr Naseweise, ihr Schelmenpack! Meint ihr denn, er wäre offen, der Sack?) Wenn ich euch nun stecke, dass der Begriff »Person« sich vermutlich vom etruskischen »phersu« ableitet und nichts anderes bedeutet als »Maske«. Ha! Da staunt ihr aber Bauklötze! Sind wir nicht alle ein bisschen aufgesetzt? Und verleiht diese Entdeckung nicht Flügel?

Der Schein bestimmt das Bewusstsein. Kann ich also umgekehrt alles sein, was ich zu sein scheine, oder? Ich bin deine materialisierte Projektion, Baby! All the world's a stage, befand ja auch Shakespeare. (Moment. Muss mich mal eben schnieke stylen. Welcher Dandy war das noch gleich, der stets im Frack zum Griffel griff, damit sein Wort Noblesse ergreife?)

Seit jeher hegen die Menschen wenig Vertrauen in die bloße Erscheinung, die der Herrgott ihnen zugedacht hat. Maskieren dieselbe mit Attributen, mit denen sie ihrem Gegenüber imponieren wollen. Der Indianer springt unter rituellen Verrenkungen mit einem opulenten Holzgerät vorm Gesicht übers Feld, um Schutzgottheiten herbeizubeschwören oder böse Geister abzuschrecken. Der Geschäftsmann wirft sich in einen Maßanzug und schnürt sich die Kehle mit einer Krawatte ab, zum Zeichen, dass er alles inklusive sich selbst im Griff hat.

Lassen wir aber die Maskierungen des Alltags mal beiseite. Schließlich ist Fasching! Da heißt es, über die Stränge seiner gesellschaftlich etablierten Rolle zu schlagen und symbolisch auszuleben, was sonst noch so vorstellbar ist. So närrisch ist das gar nicht. Allein die Wahl des Kostüms lässt ja tief in die verborgenen Potentiale einer Persönlichkeit blicken. Zumindest, wenn man die Wahl hat.

Auf meinem ersten Faschingsfest im Kindergarten hatte meine Mutter die Wahl. Da hoppelte ich dann also als Osterhase mit selbstgenähten Filzohren rum, den Korb voll mundgeblasener Eier (und die blöden Jungs bewarfen damit die blöden Mädchen). In der Vorschule machte ich mich in meiner klingelnden Hofnarrenkluft mit aufgemalten Apfelbäckchen zum Clown. Und in der ersten Klasse schwebte ich als Fee im Petticoat mit der recycelten Schultüte auf dem Kopf durch die Flure. Mit einem Kostüm von der Stange hätte es allerdings noch schlimmer kommen können. »Like in Heaven – der Heiligenschein für Kinder mit weißem Federbesatz« und ähnlich Sonderbares bietet der einschlägige Online-Fachhandel feil. Wer das kauft? Schätzungsweise verdrossene Erziehungsberechtigte, die sich und der Welt einen Rest Humor bewahrt haben.

Mit neun Jahren bestand ich darauf, mich fortan selbst zu kostümieren. Endlich wollte ich den anderen in der Klasse zeigen, was in dem artigen Kind steckt, das zwar nicht gerade für die Stiefschwestern die Erbsen aus der Asche pulen musste, dafür aber die mehrfach geflickten Hochwasserhosen und sämtliche Jahrgänge an klobigen Botten seines Bruders auftragen. Cinderellas Glaspantoletten wollte ich natürlich auch nicht. Die kleinen Mädchen aus der Vorstadt tragen heute Nasenringe aus Phosphor! Die Lippen sind blau, die Haare grün, Streichholzetiketten am Ohr… Ein Fummel musste her, der mich zur New-Wave-Queen der Aula krönte. Bei aller Skepsis warf meine Mutter doch ihre Nähmaschine an und mit dem Ergebnis fühlte ich mich endlich mal großartig unter dem Sternenhimmel. Tatüü, tataa! Da kam ich und die Schule brannte! Zumindest an Fasching. In meiner grellen Kluft sah ich mir selbst ähnlicher denn je. Fand ich.

Und dann, doppelte Pfarrerstochter, leidgeprüfte 13, sah ich den Koboldkönig Jareth im Fantasy-Streifen »Labyrinth«. Where everything seems possible and nothing is what it seems. Unter der Maske: David Bowie, Meister der Maskierung. Ätherische Erscheinung, diabolische Anmut, eine Stimme, die Alles transzendierte. Ich war betört. Direkt vom Kinosessel sank ich in Bethaltung und tapezierte mein Zimmer mit seinem Bildnis. Mein Erzeuger und Patriarch war empört. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!
Ich aber wollte David Bowie nicht nur küssen, ich wollte David Bowie sein. Ich wollte Mann und Frau sein, wie er. You've got your mother in a whirl: She's not sure if you're a boy or a girl... Seine durch Schminke und Satin zur Schau getragene Androgynität höhnte nicht nur dem Unbehagen der Geschlechter.

Ich wurde kokett. Ich wollte mich selbst erschaffen, wie Bowie sich mit seinen wechselnden Images immer wieder neu erschuf, in Schönheit, Unverletzlichkeit, Perfektion. Negierte den Ursprung aus meiner Mutter, die Berührungen durch meinen Vater. Hörte auf zu schlafen. Hungerte mich in Bowies Gestalt. Mein rundes Mädchengesicht sollte seinen hohlen Wangen weichen. Mein Körper war das Material meines antizipierten Idealbildes von mir selbst. Ich formte es, indem ich es, sichtbar für alle, zum Verschwinden brachte. Je flüchtiger mein Körper, desto klarer strahlte mein Ego durch meine Haut – gereinigt von der Schuld, die meine Eltern mir injiziert hatten, über alles Fleisch erhaben. Was menschlich war, verabscheute ich. Hunger, Verdauung, Notdurft – erbärmlich. Freak out in a moonage daydream!

David Bowie glich ich schließlich nie. Aber an meinem letzten Fasching erschien ich als Tod in Person. »Fleisch, lebe wohl«, heißt Karneval auf Deutsch (lat. carne vale). Meinen Aschermittwoch zelebrierte ich über Monate. Wo ich keinen Raum zur Entfaltung einer eigenen Identität fand, machte ich mich eben dünne. Hinter der Maske meiner Selbstbeherrschung hungerte ich nach Anerkennung.

Und heute, liebe Leute? Ach wie gut, dass niemand weiß. Heute heiß ich nämlich Leowee.

 

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