text: leowee | foto: tom mennemann (promo-shot für hotel poetry ffm 2003)

_hotel poetry_eine schmonzette

Yolanthe von Leoprechting drückt die Klinke runter. Vor der Tür steht eine hoch gewachsene Person, nicht Frau, nicht Mann, irgendwas zwischen Drag Queen und Puffmutter. Sie trägt eine Perücke in Pink und einen verchromten Nasenschmuck vom Ausmaß eines Sargnagels. Auf dem Arm, halb verdeckt von einer Boa aus Wellensittichfedern, hält sie einen weiß gelockten Hund. Eine angenehme Kühle geht von der Person aus.
Es wird Herbst draußen.

»Einen wunderschönen guten Abend, Schätzchen«, schnarrt die Person, „Frisch sehen Sie aus, ganz fabelhaft rosig.«
Yolanthe berührt ihre heißen Wangen.
»Guten Abend, ich äh – habe gerade gebadet.«
»Natürlich«, schnarrt die Person.

Wie mager und bleich sie ist! Neugierig späht sie an Yolanthe vorbei ins Zimmer. Yolanthe späht nach dem Hotelier. Der Hotelier sitzt hinter dem Empfangstresen, in irgendwelche Papiere vertieft, und denkt gar nicht daran, aufzublicken, geschweige denn, ihr beizustehen.

»Also, worauf warten wir, Schätzchen«, schnarrt die Person und pickt mit einem schaurig langen Fingernagel gegen Yolanthes Brust. Yolanthe tritt unwillkürlich beiseite.
»Äh. Kommen Sie doch rein.«
»Natürlich«, schnarrt die Person.
Ein modriger Geruch streift Yolanthes Nase, als sie an ihr vorbei über die Schwelle stakst.
Yolanthe schließt die Flügeltüren, nicht ohne vorher noch mal einen Blick nach dem Hotelier zu werfen, der inzwischen seine Brillengläser putzt.

Ächzend lässt die Person sich in einen der Sessel sinken, den Hund auf ihrem Schoß. Mit ihren langen, türkis lackierten Krallen beginnt sie ihm den Nacken zu kraulen. Der Hund goutiert es mit einem wohligen Schnarchen.

»Ich glaube, ich habe auf Sie gewartet«, sagt Yolanthe aufs Geratewohl und setzt sich in den Sessel gegenüber.
»Natürlich«, schnarrt die Person.
»Sie scheinen irgendwie mehr zu wissen, als ich.«
»Bloody Mary, bitte«, schnarrt die Person. Ihre schmalen Lippen legen eine Reihe blitzweißer, stark ausgeprägter Zähne frei.
»W-wie bitte?«
»Mein Drink!«
»O, V-Verzeihung – sofort!«
Benommen tappt Yolanthe zum Telefon und wählt die Nummer der Hotelbar.

»Mein Name ist Ava Slobánska«, erklärt die Madam, kaum, dass Yolanthe den Hörer in die Gabel zurückgelegt hat und ihre Stimme klingt plötzlich tief und melodisch. Ein selbstgefälliger Ausdruck spielt in ihren Zügen. Ihre Haut wirkt wie Wachs. Wahrscheinlich ist sie geliftet. Unmöglich, ihr Alter zu schätzen. Irgendwas zwischen Mitte Vierzig und Sechzig.

»Und das hier ist mein gestriegelter Werwolf Lupus Garstikus.«
Als er seinen Namen hört, hebt der kleine Köter den weiß gelockten Kopf und fletscht seine Beißer. Statt eines Furcht einflößenden Knurrens gibt er aber nur einen kläglichen Laut von sich.
Yolanthe muss lachen.
»Werwolf, was!«

Eins zu null für den Hotelier, das Schlitzohr. Hat sie mit ihrer hanebüchenen Schmonzetten-Nummer glatt beim Wort genommen und eine Schauspielerin engagiert, um ihr einen Denkzettel zu verpassen. Verteufelt originell! Und mit was für einer schrillen Kostümierung! Wo hat er diese Figur nur so schnell hergenommen?

»Sagen Sie, ist in der Stadt gerade eine Tuntenparade am Start? Oder kampiert ein Jahrmarkt…«
»Und Sie sind Yolanthe von Leoprechting«, unterbricht Ava Slobánska sie scharf.
Jesse, hat der Kerl sich sogar ihren irren Namen gemerkt!

 

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»Sie wollen ausbrechen.«
»Wie bitte?«
»Ausbrechen. Weg. Nicht mehr zurückkehren in ihr enges Zuhause, Ihr wund geliebtes Herz«, sagt Ava Slobánska.
Yolanthe schluckt. Woher weiß diese Person…
»Ach, dann sind Sie vielleicht Hellseherin?«
Die Madam winkt ungeduldig ab.

»Sie haben lange gebadet.«
»Ja, ich war viel unterwegs. Backpackerin, Sie verstehen. Völlig verspannt von dem schweren Rucksack.«
»Sehen Sie, Schätzchen, dann sind Sie jetzt gut durchblutet.«
»Äh, ja, das sagten Sie bereits.«
Komische Alte, echt!

»Was ist mit Ihrem Geliebten?«
»Meinem Geliebten?«
»Ist er nicht Hals über Kopf verschwunden?«

Lasziv wickelt die Madam eine Strähne ihres pinkfarbenen Kunsthaars um den Finger. Was für schaurige Krallen sie hat! Yolanthe streift verstohlen den kalten Schweiß ihrer Hände am Sitzpolster ab.

»Haben Sie denn noch Hoffnung?« bohrt die Slobánska weiter, eine eigenartige Erregung in der Stimme, einer Stimme wie brüchige Erde.
»Hoffnung worauf?«
Ein obszönes Grinsen hat sich auf Ava Slobánskas Lippen ausgebreitet. Ihre Augen glühen.
»hren Geliebten eines Tages wieder zu sehen.«

Nur mit Mühe kann Yolanthe ihren Blick von diesen Augen lösen. Heftet ihn auf die Mattscheibe des Fernsehers, in dem sich ihre Sitzgruppe spiegelt. Ihr Blick saugt sich fest an ihrem Spiegelbild. Blass ist sie geworden. Ein Gespenst, gehüllt in einen zu weiten Morgenrock aus Polyester. Skeptisch hebt sie eine Hand. Die Person im Spiegel tut es ihr gleich. Das bin also ich. Aber wo, zum Teufel, ist mein Gast und wo der Hund?
Yolanthe wendet ihren Kopf. Wie gehabt sitzen die beiden ihr leibhaftig gegenüber. Sie schaut wieder auf die Mattscheibe. Dann wieder zu der Alten und ihrem Miniatur-Werwolf. Dann wieder auf die Mattscheibe.

Ganz langsam gefriert das Blut in ihren Adern.
Ava Slobánska sitzt ihr gegenüber.
Aber Ava Slobánska hat kein Spiegelbild!

Dafür erhebt sie sich, gemächlich, ohne Yolanthe aus den Augen zu lassen. Yolanthe springt auf. Die Slobánska schreitet auf sie zu. Yolanthe weicht zurück, flieht hinter ihren Sessel. Umklammert ihren Hals, fühlt unter der Haut ihren rasenden Puls, stolpert über das Kabel der Stehlampe. Mit einem dumpfen Ton stößt ihr Kopf gegen die Wand. Der Raum dreht sich. Ava Slobánska steht dicht vor ihr. Die Federn ihrer Boa tanzen im Zuge ihres Atems. Yolanthe schließt die Augen und zählt bis zwölf.

Als sie ihre Augen wieder öffnet, ist Ava Slobánska verschwunden. Über ihren Hals beugt sich jemand, den sie kennt. Dunkel. Markant. Schön wie die Nacht.

Yolanthe lässt die Hände sinken. Eiskalter Atem streift ihre Kehle und lässt ihre Brustspitzen hart werden.
Sein Kuss brennt sich tief in ihren Hals. Durch ihre Adern rauscht das gleißende Licht des Mondes.

»Zimmerservice!« klopft es an die Tür. »Meine Herrschaften, Ihre Cocktails!«

 

der text erschien im rahmen des projekts literaturhotel in variierter fassung in der hotelfachzeitschrift hottelling | lesezeit 09-2005 --> PDF